Das autonome Nervensystem und die Polyvagaltheorie
Der Vagusnerf ist weitgehend für unser autonomes Nervensystem zuständig
Unser autonomes Nervensystem steuert lebenswichtige Funktionen wie Blutdruck, Blutzuckerspiegel, Körpertemperatur, Muskeltonus und den Hormonhaushalt – und das völlig unabhängig von unserem bewussten Willen. Es reagiert blitzschnell auf jede Situation und passt unseren Körper den jeweiligen Anforderungen an.
In Gefahrensituationen wird das System aktiviert: Der Muskeltonus erhöht sich, das Herz schlägt schneller, Adrenalin wird ausgeschüttet – all das bereitet uns darauf vor, schnell zu handeln. Gerät die Bedrohung jedoch in einen extremen Bereich, kann das System überfordert werden. In solchen Fällen kann es zu einem Zusammenbruch kommen: Wir fühlen uns wie gelähmt oder verlieren im schlimmsten Fall das Bewusstsein.
Diese Verhalten werden auch Kampf- oder Fluchtmodus genannt und im Extremfall Dissoziation.
Die Polyvagaltheorie nach Stephen Porges
Dr. Stephen Porges von der Universität von Illinois, Chicago hat festgestellt, dass der Vagusnerf aus zwei Aesten besteht :
- Der alte, dorsale Vagus, verantwortlich für Immobilisationsreaktion, für Dissoziation
- Der neue, ventrale Vagus, er ist dicker und schneller, er fördert Aufmerksamkeit und soziale Kommunikation
Der neue Vagus bewegt, in Koordination mit anderen Nerven, unsere Kopf- Gesichts- und Halsmuskulatur, er aktiviert unsere Sinne und optimiert die Sauerstoffkontrolle via Herz und Lungenaktivität. Er wird daher manchmal auch « soziales » Nervensystem genannt. Der alte Vagus immobilisiert uns, es entsteht Trauma.
Je aktiver der neue Vagus, desto passiver der alte, oder umgekehrt, wenn der neue Vagus zurückgefahren wird, kommt der alte ins Spiel.
Bei glücklichen, vertrauensvollen Menschen ist der ventrale Vagus wie ein innerer Ruhepol aktiv. Spüren wir Bedrohung, zieht er sich zurück – und der Körper geht in Alarmzustand.
Wege aus der Immobilisation
Indem wir uns bewusst mit unserer unmittelbaren Umgebung beschäftigen oder einen sicheren, positiven Kontakt zu einem anderen Menschen herstellen, wird der sogenannte „neue Vagusnerv“ aktiviert. Dadurch kann die Stressreaktion im Körper reduziert oder sogar ausgeschaltet werden.
Craniosacrale Begleitung
Einfühlsame Berührung und gesteigertes Körperbewusstsein in der Cranioarbeit übermitteln dem Gehirn neue, sichere Signale aus dem Inneren des Körpers. Dieses bewusste Spüren stärkt unsere Wahrnehmung für den körperlichen Zustand und öffnet zugleich den Zugang zu unseren emotionalen Empfindungen.
Dissoziation ist der Kern eines Traumas
«Man kann nur verantwortlich für das eigene Leben sein, wenn man die Realität des eigenen Körpers annimmt, mit all seinen tief sitzenden Dimensionen. »
«Geerdet meint, dass man seinen Po im Stuhl fühlen, das Licht durch das Fenster kommen sehen,
die Anspannung der eigenen Waden fühlen und den Wind in den Aesten draussen rauschen hören kann.»
Bessel Van Der Kolk, 2014